Forschungsmemorandum


 

Forschungsmemorandum Organisationspädagogik

 

Präambel 

Das Forschungsmemorandum der Kommission Organisationspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) ist Ausdruck eines langen und seit 2006 intensivierten wissenschaftlichen Verständigungsprozesses im erziehungswissenschaftlichen Kontext.

Ziel des Memorandums ist es, im Prozess der wissenschaftlichen Selbstverständigung im Fachdiskurs Kontinuität, Qualität und Entwicklung der organisationspädagogischen Forschung sicherzustellen, zu fördern und weiterzuentwickeln. Indem relevante Forschungsgegenstände sowie Forschungsdesiderate identifiziert und in der scientific community bearbeitet werden, soll das Forschungsfeld der Organisationspädagogik inhaltlich weiter systematisiert und das Forschungsgebiet institutionell weiter etabliert werden.

Insofern zielt das Forschungsmemorandum zuvorderst auf die inhaltliche und programmatische Selbstverständigung der an Organisationspädagogik interessierten Scientific Community. Im Sinne einer institutionellen Etablierung der Organisationspädagogik wird darüber hinaus angestrebt, dass diese damit auch wissenschaftspolitisch bzw. wissenschaftsadministrativ zukünftig als eigenes Fachgebiet in Forschung und Lehre ausgewiesen wird. Dies soll einerseits durch die weitere Einrichtung und den Ausbau von Studiengängen und Professuren mit organisationspädagogischer Denomination an Universitäten und Fachhochschulen erfolgen. Andererseits zielt das Memorandum aber auch auf die Fundierung eines weiteren Ausbaus und Förderung organisationspädagogischer Forschung im Rahmen koordinierter Forschungsförderung auf nationaler und internationaler Ebene. Darüber hinaus ist die professionelle Praxis eingeladen, das Forschungsmemorandum als Orientierungspunkt eigener Entwicklungs- und Veränderungsstrategien zu nutzen.

Die historischen Wurzeln ebenso wie die Vertiefung, Ausweitung und Institutionalisierung des organisationspädagogischen Diskurses in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) seit dem Jahre 2006, der Gründung der organisationspädagogischen Initiative und heutigen Kommission, haben bereits erheblich dazu beigetragen, organisationspädagogische Forschung zu bündeln. Hierzu trägt auch der intensiv betriebene Prozess der Internationalisierung bei. Das Forschungsmemorandum stellt einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Systematisierung und Institutionalisierung organisationsbezogener und organisationspädagogischer Fragen in der Erziehungswissenschaft dar.

Das Memorandum ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst wird ein von den Autor/inn/en und der Mitgliederversammlung der Kommission Organisationspädagogik gemeinsam getragenes Basisverständnis von Organisationspädagogik entwickelt. Im zweiten Schritt werden zentrale Gegenstände organisationspädagogischer Forschung umrissen und im dritten Schritt schließlich organisationspädagogische Forschungszugänge dargestellt.

1 Organisationspädagogik 

1.1 Organisationspädagogik ist eine Subdisziplin der Pädagogik. Ihr Ausgangspunkt ist somit der pädagogische bzw. erziehungswissenschaftliche Diskurs bzw. der Diskurs über das Pädagogische.

  • Sie teilt mit anderen pädagogischen Subdisziplinen (wie z.B. Schulpädagogik, Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung) das wissenschaftliche Interesse an menschlicher Entwicklung, an Bildung, Erziehung und nicht zuletzt an Lernprozessen und deren professioneller Unterstützung. Im Unterschied zu anderen pädagogischen Subdisziplinen fokussiert sie vorrangig die Organisation, die – je nach theoretischer Provenienz – z.B. als Meso-Ebene der Gesellschaft, als organisierter Kontext von Lernprozessen, als zielbezogenes kollektives Arrangement des Organisierens und Lernens gefasst werden kann.
  • Zu ihrem pädagogischen Ausgangspunkt gehört, dass sie theoretisch und empirisch – im Unterschied zu anderen, ebenfalls Organisationen erforschenden (Sub-)Disziplinen wie der Organisationspsychologie, der Organisationssoziologie, der Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften – an dem Lernen in und von Organisationen nicht ausschließlich in analytischer oder funktionaler Hinsicht interessiert ist. Organisationspädagogik reflektiert darüber hinaus in normativer Hinsicht die Ziele des Lernens und ist an der effektiven und humanen Gestaltung von Organisationen interessiert.
  • Damit verbunden ist ein Reflexionsverhältnis, das für konflikthafte, widersprüchliche und dysfunktionale Phänomene, aber auch für die jeweilige Perspektivität der Forschungszugänge sensibilisiert. Insgesamt ist das organisationspädagogische Projekt einem empirisch-analytischen ebenso wie einem pädagogisch-gestaltungsorientierten Wissenschaftsverständnis verpflichtet.
  • Dem pädagogischen Erkenntnisinteresse entsprechend fragt die Organisationspädagogik nicht nur nach der strukturellen, sondern auch nach der prozessualen und kulturellen Verfasstheit von Organisationen. Dementsprechend gehören Kultur- und Praxistheorien zu den organisationspädagogisch relevanten Referenztheorien.

1.2 Organisationspädagogik bezieht sich sowohl auf pädagogische als auch auf nicht-pädagogische Organisationen.

  • Als Organisation werden im organisationspädagogischen Diskurs sowohl der Prozess des Organisierens als auch die daraus hervorgehende Entität bezeichnet. Organisationen im letzteren Sinne lassen sich als Sozialgebilde (Gemeinschaften, Praxisstrukturgebilde) verstehen, die dadurch charakterisiert sind, dass sie bestimmte Ziele verfolgen, beständige Grenzen sowie eine eigene Kultur aufweisen und auf arbeitsteilige und planvolle Kooperation ihrer Mitglieder angelegt sind. Auch erst in Entstehung befindliche, vergehende, virtuelle oder projektförmige Organisationen sowie mehr oder weniger lose gekoppelte Netzwerke sind relevante organisationspädagogisch zu untersuchende Entitäten.
  • Zum einen befasst sich die Organisationspädagogik theoretisch, methodologisch und empirisch mit im engeren Sinne pädagogischen Organisationen – wie z.B. Kindertagesstätten, Schulen, Jugendzentren, Heime, Universitäten, Einrichtungen der Erwachsenen- und Weiterbildung. Dabei baut sie auf Vorarbeiten der Schulpädagogik, Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und weiterer Subdisziplinen der Erziehungswissenschaft auf.
  • Zum anderen befasst sich die Organisationspädagogik theoretisch, methodologisch und empirisch auch mit Organisationen, deren Zwecksetzungen nicht primär pädagogischer Natur sind, indem sie dortige Lernprozesse und -strukturen untersucht. Diese Fokussierung organisationspädagogischer Analysen auf alle Organisationsformen verweist auf ein entgrenztes Verständnis des Pädagogischen.

1.3 Zentraler Gegenstand organisationspädagogischer Forschung ist das organisationale Lernen. Dies kann als Lernen in Organisationen, als Lernen von Organisationen und als Lernen zwischen Organisationen begriffen werden.

  • Lernen in Organisationen kann individuell oder kollektiv erfolgen. Hier interessiert die jeweilige Organisation als Kontext, insbesondere als hinderliche oder förderliche Lernumgebung. Zugleich interessieren die lernenden Individuen und Kollektive als organisationale Akteure, die ihrerseits die Entwicklung der Organisation beeinflussen.
  • Lernen von Organisationen meint die Weiterentwicklung der Organisation als Akteur, zum einen als implizites Lernen organisationskultureller Selbstverständlichkeit im Umgang mit sich und den Sachaufgaben, zum anderen als explizites Organisationslernen, z.B. als von organisationspädagogischen Professionellen unterstützte kollektive Erforschung und Reflexion dieser Selbstverständlichkeiten.
  • Lernen zwischen Organisationen fokussiert den Umstand, dass sich Organisationen als soziale Gebilde hinsichtlich ihrer Inhalte und Prozesse, ihrer Strukturen und Kultur in der Auseinandersetzung mit anderen Organisationen und sonstiger Umwelt lernend weiterentwickeln.
  • Über das genannte informelle Lernen organisationskultureller Selbstverständlichkeit hinaus kann Lernen auch als Emergenz von Neuem erfolgen, z.B. im Zuge einer Vergrößerung der Organisation oder der Diversifizierung der Organisationsmitglieder.
  • Organisationspädagogik nimmt somit – im Unterschied zu anderen pädagogischen Teildisziplinen – Organisation nicht nur als Bedingung von Lernen, sondern auch und vor allem als selbst lernendes Sozialgebilde wahr.
  • Diese Art organisationalen Lernens kann auch als Werden organisationaler Identität verstanden werden. Für die Erforschung organisationalen Lernens ist es produktiv, die Entstehungshintergründe – und damit die Geschichtlichkeit der Organisation – einzubeziehen. Neben der genealogischen Perspektive ist eine auf Zeitlichkeit hin orientierte Forschungs- und Analyseperspektive auf Persistenz ebenso wie auf die Veränderung und das Verschwinden ausgerichtet.

1.4 Organisationspädagogik setzt eine prozessreflexive Perspektive voraus. Prozessverstehen ist wesentlich für organisationspädagogische Forschung.

  • Dementsprechend wird organisationales Lernen als Prozess kultureller Praxis analysiert. Es geht also nicht nur um einen Vorher-Nachher-Abgleich der Organisation oder gar nur der organisationalen Strukturen, sondern auch um den modus operandi organisationalen Lernens.
  • Dies ist nicht zuletzt bedeutsam für forschungsmethodologische Reflexion und forschungsmethodische Entscheidungen. Organisationspädagogik arbeitet mit einem breiten Repertoire an Forschungsmethoden, wobei quantitative und qualitative Forschungszugänge sinnvoll aufeinander bezogen bzw. integriert werden.

1.5 In strukturreflexiver Hinsicht fokussiert Organisationspädagogik theoretisch und empirisch auf die (Meso-)Ebene der Organisation, begreift diese jedoch als rückgebunden in einem Mehrebenen-Setting.

  • Organisationales Lernen (Mesoebene) kann nicht ohne die gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen (Makroebene) und ebensowenig ohne individuelle Lernprozesse und dyadische Lehr-Lern-Interaktionen (Mikroebene) verstanden werden.
  • Die Makroebene kontextuiert und beeinflusst das organisationale Lernen als Umwelt, die von der Organisation Grenzkonstruktion und Übersetzung erfordert. Darüber hinaus produziert die Makroebene neue institutionelle Elemente, die von der Organisation inkorporiert werden. Die organisationspädagogische Forschung nutzt die Vielfalt möglicher Referenztheorien und erschließt empirisch ihre jeweiligen Potenziale in Abhängigkeit der gestellten Forschungsfragen.
  • Die Mikroebene kontextuiert und beeinflusst das organisationale Lernen. Die Heterogenität der Mikroebene erfordert von der Organisation Diversitätsmanagement; als individuelle Konstruktion von Wirklichkeit erfordert sie die Gestaltung ihrer selbst als Lernumgebung. Organisationspädagogisches Zentrum ist die Mesoebene der Organisation. Die Mikroebene des individuellen Lernens und der pädagogischen Interaktionen und die Makroebene wie z.B. der Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik werden theoretisch und empirisch mitgedacht und erschlossen. Sie lassen sich als Bedingungen der organisationspädagogisch primär interessierenden Meso-Ebene, bzw. als deren Herstellungszusammenhang oder Kontext fassen.
  • Eine organisationspädagogische Mehrebenenbetrachtung kann z.B. – je nach theoretischer Rahmung und Rekonstruktion – auch die Exo-Ebene der indirekten Beeinflussung individuellen und organisationalen Handelns oder auch die Chrono-Ebene der zeitlichen Entwicklung und biografischen Abfolge mit einbeziehen.

1.6 Verhältnis von Theorie, Empirie und Praxis

  • Organisationspädagogik bedarf sowohl der Theorie als auch der Methodologie und Empirie. Idealerweise verschränken sich Theorie, Methodologie und Empirie in ihrer Auseinandersetzung mit den Transformationsprozessen der Praxis. Der organisations- pädagogische Diskurs zielt auf die Entwicklung und Weiterentwicklung des Wissens und Verstehens organisationalen Lernens. Daraus können Wissensbestände für organisationspädagogische Praxis entstehen, die dieser bei gleichzeitiger Anerkennung ihrer Eigenlogik, kritische Reflexionsmöglichkeiten an die Hand geben.
  • Die Entwicklung und Weiterentwicklung organisationspädagogischer Theorie und Empirie ist auf den Einsatz unterschiedlicher Forschungsmethodologien sowie forschungsmethodischer Zugänge und Verfahren angewiesen. Quantitative und qualitative Methoden haben ebenso ihren Platz wie die begriffliche Arbeit bzw. der theoretische Diskurs. Idealerweise werden die unterschiedlichen (referenztheoretischen) Perspektiven, Forschungsmethodologien und (methodischen) Verfahren am konkreten Forschungsgegenstand miteinander verbunden.

2 Gegenstände organisationspädagogischer Forschung

Das organisationale Lernen steht im Mittelpunkt organisationspädagogischer Forschung. Es ist abhängig von einer Reihe von Aspekten, die selbst zu Gegenständen organisationspädagogischer Forschung werden. Eine Auswahl dieser Gegenstände vorzustellen, gehört notwendig zu diesem Forschungsmemorandum.

2.1 Organisationales Lernen

  • Bei der Erforschung des organisationalen Lernens ist zum einen zu bedenken, auf welche Weise – z.B. in einer ebenenbezogenen Betrachtung – das Lernen erforscht bzw. welchen Akteuren das Lernen seitens der Forschenden zugeschrieben wird. So kann organisationales Lernen sowohl als Lernen von Individuen und/oder Kollektiven in Organisationen als auch als Lernen von Organisationen und schließlich auch als Lernen zwischen Organisationen erforscht werden. Dabei kommt der Organisation im ersten Fall eher kontextuelle, im zweiten eher akteurshafte und im dritten Fall beiderlei Bedeutung zu.
  • Bei der Erforschung organisationalen Lernens ist zum anderen zu bedenken, ob das organisationale Lernen vorrangig in struktureller oder vorrangig in prozessualer Hinsicht untersucht werden soll bzw. kann. Im ersten Fall geht es z.B. darum, Akteure, Aktanten, Medien und Programme organisationalen Lernens auszudifferenzieren und jeweils im Einzelnen sowie als strukturelles Ensemble zu studieren. Bei der Untersuchung in prozessualer Hinsicht geht es hingegen darum, Erinnern, Vergessen, Überraschen und andere Aspekte der Zeitlichkeit organisationalen Lernens wie auch Performativität und modi operandi organisationalen Lernens zu erkunden.

2.2 Akteure organisationalen Lernens

Entsprechend der oben angesprochenen Ebenen, auf denen organisationales Lernen untersucht werden kann, lassen sich Akteure organisationalen Lernens unterscheiden.

  • So können individuelle Akteure – die als individuell Lernende an organisationalem Lernen beteiligt sind (z.B. Führungskräfte oder MitarbeiterInnen), kollektive Akteure, die als Team lernen und so zum organisationalen Lernen beitragen (z.B. Communities of Practice oder Interessengruppen) – und die Organisation, die sich als soziales Gebilde hinsichtlich seiner Inhalte und Prozesse, seiner Struktur und Kultur (z.B. lernendes Unternehmen) und als korporativer Akteur in der Auseinandersetzung mit anderen Organisationen und sonstiger Umwelt lernend weiterentwickelt, als je eigene Gegenstände sowie in ihrem interessengeleiteten Zusammenspiel organisationspädagogisch erforscht werden.
  • Dabei sind die Akteure auf jeder Ebene wiederum für das jeweilige Forschungsprojekt sorgfältig zu differenzieren. So macht es im Hinblick auf Inhalte und Formen organisationalen Lernens einen Unterschied, ob es sich bei den untersuchten Akteuren um Führungskräfte oder um PraktikantInnen der jeweiligen Organisation, um Mitglieder oder um Assoziierte, um Hauptamtliche oder um Ehrenamtliche etc. handelt.
  • Was kollektive Akteure betrifft, so hat organisationspädagogische Forschung beispielsweise zu beachten, ob es sich um von den Beteiligten selbst gebildete oder um hierarchisch aufgetragene Kollektive handelt. Bei der Untersuchung von Organisationen als Akteure gilt es beispielsweise zu berücksichtigen, welche Zwecksetzung, Historie oder Rechtsform der jeweiligen Organisation eigen ist, um welche Organisationstypen (z.B. hybride oder virtuelle Organisationen) es sich handelt.

2.3 Rahmenbedingungen organisationalen Lernens

Rahmenbedingungen organisationalen Lernens sind außerhalb und innerhalb der jeweiligen Organisation gegeben und lassen sich als eigene Gegenstände organisationspädagogischer Forschung rekonstruieren.

  • Zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gehört beispielsweise die im Zuge der Globalisierung stark gewachsene Inter- und Transnationalität. Organisationen verschiedenster Art und verschiedenster Branchen agieren heute unter den Bedingungen von Inter- und Transnationalität und bearbeiten diese Kontextuierung mittels organisationalen Lernens (z.B. interkulturelle Öffnung, Diversity Management und Diversity Education), dessen Spezifik analytisch perspektiviert werden kann. Ähnliches gilt für die Kontextuierung durch die Diskurse um Gender und Familie und deren Bearbeitung mittels organsationalen Lernens (Gender Mainstreaming, Work-Life-Balance, etc.) oder die Thematisierung sozialer Ungleichheiten und ihre Bearbeitung auf organisationaler Ebene (z.B. durch Mentoring). Zu den äußeren Rahmenbedingungen gehören auch Programmatiken und Semantiken des organisationalen Lernens. Zu untersuchen ist hier nicht nur der Diskurs um das organisationale Lernen als solcher, sondern auch als spezifischer semantischer und programmatischer Herstellungskontext der jeweiligen Organisation, etwa hinsichtlich der Fragen, welche Inhalte oder Formen des Lernens seitens der Umwelt und nicht zuletzt seitens der Stakeholder der betreffenden Organisation als legitim anerkannt werden. Organisationsethische Fragen schließen daran an und erhalten als Kontext oder auch als Programmatik organisationaler Lernprozesse organisationspädagogische Relevanz.
  • Die inneren Rahmenbedingungen organisationalen Lernens lassen sich rekonstruieren z.B. als spezifische organisationale Grammatik, als organisationales Regime oder als organisationale Ordnung. Diese wird analysierbar in der Organisationsstruktur, ist aber auch in der Performativität der Organisationskultur, etwa in ritualisierten organisationalen Praktiken zu erschließen. Mit diesem organisationspädagogischen Forschungsgegenstand ist die Frage nach der Macht verbunden, die in Grammatik, Struktur und Praxis der betreffenden Organisation ideell, materiell und performativ mitgeführt wird. Die Erforschung ritualisierter organisationaler Praktiken, insbesondere organisationsspezifischer Interaktions- und Kooperationsmuster als verkörperlichte Gewohnheiten, legt zudem die Untersuchung der Bedeutung der individuellen, kollektiven und organisationalen Körper nahe.
  • Als weitere innere Rahmenbedingung organisationalen Lernens kommen zunehmend auch die Emotionen in den Blick. Sie werden diskutiert als Relevanzsetzungen, die sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene das organisationale Lernen kontextuieren. Der Zusammenhang von Ritualen, Symbolen, Narrationen, emotionalisierenden Strategien und Emotionen im Organisieren wird analysierbar in der Untersuchung herausgehobener Ereignisse (z.B. Feiern), mit symbolischer Bedeutung. Die hier entstehenden Relevanzsetzungen sind insbesondere auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für organisationale Lernprozesse (z.B. zum Abschluss von Projekten) zu untersuchen.

2.4 Unterstützung organisationalen Lernens

Zu den Gegenständen organisationspädagogischer Forschung gehören auch alle Strukturen, Prozesse und Methoden der Unterstützung organisationalen Lernens.

  • Im engeren Sinne pädagogisch begründet und konzipiert sind organisationspädagogische Interventionsansätze, die in ihrem Verlauf, ihrer Wirksamkeit und somit auch in ihrer Organisationsadäquanz erforscht werden können. Neben den umfassenden Ansätzen der Organisations- und Personalentwicklung sind hier beispielsweise Organisationsberatung mit ihren konkreten Interventionsformen und methodischen Zugängen wie Großgruppenverfahren, Teamentwicklung, Supervision, Coaching, Formative Evaluation und Ästhetische Interventionen zu nennen.
  • Darüber hinaus lassen sich instutionalisierte Managementsysteme als Strukturen zur Ermöglichung und Unterstützung organisationalen Lernens untersuchen (z.B. Wissens-, Innovations-, Qualitäts-, Stakeholder- und Change Management). Wie und von welchen Professionellen mit welchen disziplinären Hintergründen solche organisationalen Strukturen begründet und konzipiert werden, stellt eine empirische Frage dar. Ob sie als pädagogisches Proprium oder als betriebswirtschaftlich legitimiertes und verantwortetes Terrain gelten, ist hier zu untersuchen. Mit Blick auf ihre Lernunterstützungsfunktion sind sie generell pädagogisch relevant und organisationspädagogisch zu erschließen.

2.5 Organisationales Lernen in spezifischen Praxisfeldern

Eine weitere Differenzierung von Forschungsgegenständen ergibt sich aus den unterschiedlichen Praxisfeldern, in denen die jeweiligen Organisationen agieren bzw. denen sie jeweils angehören.

  • So ist die Unterscheidung primär pädagogischer von nicht-primär pädagogischen Organisationen im Zuschnitt von Forschungsprojekten zu reflektieren. Als primär pädagogische Organisationen lassen sich beispielsweise Kindertagesstätten, Schulen, sozialpädagogische Einrichtungen, Einrichtungen der Sozialen Arbeit, soziale Dienstleistungsorganisationen, Hochschulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung bezeichnen. Ihnen gemein ist, dass sie vorrangig einem pädagogischen Zweck dienen, dass sie insbesondere erziehen, bilden, Wissen und Kompetenzen vermitteln, Lernen unterstützen sollen.
  • Von ihnen können nicht-primär pädagogische Organisationen wie Behörden, Wirtschaftsunternehmen oder Kliniken unterschieden werden. Ihr primärer Zweck ist nicht, Lernen zu unterstützen, sondern zu verwalten oder Recht zu sprechen, monetären Gewinn zu erzeugen oder zu heilen. Diese Unterscheidung besagt nicht notwendig, dass das organisationale Lernen sich unterscheidet. Sie macht jedoch die Notwendigkeit deutlich, beim Zuschnitt organisationspädagogischer Forschungsprojekte mit zu bedenken, welchen Praxisfeldern und gesellschaftlichen Subsystemen die jeweiligen Organisationen angehören.

2.6 Institutionalisierung, Professionalisierung und Internationalisierung des organisationspädagogischen Feldes

Schließlich kann auch die Institutionalisierung, Professionalisierung und Internationalisierung des organisationspädagogischen Feldes selbst zum Forschungsgegenstand werden.

  • So ist in einer selbstreflexiven Weise z.B. zu untersuchen, wie sich das organisationspädagogische Feld institutionalisiert und professionalisiert, wie die organisationspädagogische Aus-, Fort- und Weiterbildung sich etabliert und im Zusammenspiel und der Abgrenzung in interdisziplinären Aushandlungen verankert, wie sie sich platziert, wie sie sich realisiert.
  • So ist zu fragen, welche Einrichtungen für Institutionalisierungs- und Professionalisierungsprozesse genutzt werden und welche Rolle dabei etwa die pädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Institute und Departments an Universitäten und anderen Hochschulen spielen.
  • Geeignete Forschungsgegenstände sind weiterhin die Internationalisierungsprozesse auf europäischer (z.B. EERA) und globaler Ebene (z.B. WERA), wie auch die damit verbundenen Wissensbildungsprozesse und Institutionalisierungsmuster organisationspädagogischer Diskurse.

3 Forschungszugänge: Methodologie und Methoden 

In forschungsmethodologischer und forschungsmethodischer Hinsicht nutzt die Organisationspädagogik klassische sozial-, geistes- und kulturwissenschaftliche Forschungsmethoden in ihrer gesamten Breite und Vielfalt ebenso wie innovative und kreative Forschungszugänge und – methoden. Dabei gilt die Regel, dass der Gegenstand und die Fragestellung den methodischen Zugang orientieren soll. Reflexiv ist dabei einzuholen, dass die Methodenwahl den Gegenstand (re- )konstruiert. Primär ist dementsprechend die Entscheidung für einen organisationspädagogischen Forschungsgegenstand wie sie oben exemplarisch umrissen wurden. Die oben ausgeführten Differenzierungen (siehe Abschnitt 2) bieten hierfür Hinweise, ohne den Anspruch der Vollständigkeit zu erheben.

3.1 Theoretische, empirische, historische, und vergleichende Forschungszugänge

In der Regel wird die Wahl des methodischen Zugangs also in Abhängigkeit von der Angemessenheit an den Gegenstand bzw. an die Forschungsfrage getroffen. Klassische methodologische Unterscheidungen differenzieren zwischen theoretischen, empirischen, historischen und vergleichenden Forschungszugängen.

  • Der theoretische Zugang ist grundsätzlich bei der Entwicklung organisationspädagogischer Theorie, nicht zuletzt bei der Rekonstruktion organisationalen Lernens vonnöten. In der Theorieentwicklung der Organisationspädagogik werden Prozess und Struktur, Kulturalität und Institutionalisiertheit sowie insbesondere das Lernpotential von Organisationen und die Möglichkeiten der Unterstützung organisationalen Lernens besonders hervorgehoben. Dadurch unterscheidet sich die Theorie der Organisationspädagogik von anderen disziplinären Zugängen zu Organisationen (wie z.B. Organisationssoziologie, Organisationspsychologie, Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften).
  • Der Großteil organisationspädagogischer Forschung nutzt empirische Zugänge. Empirische organisationspädagogische Forschung bedient sich sowohl qualitativer, als auch quantitativer und multimethodischer Ansätze. Ob die jeweilige Forschung quantitativ, qualitativ oder integrativ angelegt wird, ist vom konkreten Forschungsgegenstand abhängig. So legt z.B. die Frage nach den Mustern organisationaler Praxis aufgeführten Modi organisationalen Lernens eher einen qualitativen, die Frage nach der Wirksamkeit verschiedener Teamentwicklungsmaßnahmen hingegen möglicherweise eher einen quantitativen Forschungszugang nahe. Wird dem Gegenstand keiner der vorhandenen empirischen Zugänge gerecht, sind methodische und ggf. auch methodologische Innovationen erforderlich.
  • Ist eine organisationspädagogische Studie an organisationalen oder organisationskontextuellen Entwicklungen in größeren Zeiträumen interessiert, wird sie auf historische Methoden zurückgreifen. Historische organisationspädagogische Forschung untersucht die Persistenz, die Veränderung und das Verschwinden von Organisationen im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen. Dieser Forschungszweig wendet beispielsweise Methoden der historisch-pädagogischen Forschung auf die Klärung organisationspädagogischer Fragen an und betont die Relevanz organisationspädagogischer Fragestellungen im Kontext der historischen Pädagogik. Hierbei können sowohl ideengeschichtliche als auch sozialgeschichtliche oder mentalitätsgeschichtliche Zugänge zum Zuge kommen.
  • Ergänzend ist der vergleichende Forschungszugang zu erwähnen, wenngleich dessen Methoden im Wesentlichen aus den theoretischen, empirischen und historischen Zugängen entlehnt sind. Der vergleichende Forschungszugang ist nicht nur dort relevant, wo organisationspädagogische Forschung nach Prozessen, Strukturen und Praxismustern organisationalen Lernens in unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten fragt. Darüber hinaus liegt dieser Forschungszugang auch nahe, wenn Lernprozesse von Organisationen verschiedenen Typs (z.B. Behörde, Unternehmen und Non-Profit- Organisation) vergleichend erforscht werden.

3.2 Partizipative, prozessuale, ästhetisierende und gestaltungsorientierte Forschungszugänge

  • Insgesamt ist festzustellen, dass organisationspädagogische Methodologien in besonderer Weise auch die Diskussion um Partizipationsorientierung mitführen und die Potenziale der Aktions- und Handlungsforschung diskutieren und reflektieren. Hier liegen Möglichkeiten, auch und gerade gestaltungs- und transformationsorientierte Anliegen mit Forschungsinteressen zu verbinden. Dabei sind die Herausforderungen und Implikationen der Doppelorientierung einer Handlungsforschung angemessen zu reflektieren.
  • Aufgrund der Prozessualität des Lernens im Organisieren und der Relevanz der Zeitlichkeit erlangen zunehmend auch prozessorientierte Forschungsdesigns und Methodologien erhebliche Bedeutung. Längsschnitt-Orientierung wird damit zu einem methodologischen Desiderat organisationspädagogischer Forschung.
  • Nicht zuletzt wird die – theoretisch zunehmend diskutierte – Ästhetisierung der Organisationsforschung und der Organisationspraxis forschungsmethodisch und methodologisch eingeholt durch die Ästhetisierung der Forschungsmethodik. In der Diskussion um Designforschung wird die Perspektive auf Gestaltung nicht nur zum Analysegegenstand, sondern auch zur Methodik der Erforschung selbst. Seien es theatrale Inszenierungen, gemeinschaftlich angelegte kreative Prozesse mit Werkstattcharakter, kreative Entwicklungsszenarien oder partizipative Großgruppenevents in Echtzeit – hier zeichnen sich innovative Forschungsmethoden ab, die für eine organisationspädagogisch interessierte Forschung in ihren Potenzialen ausgelotet und ausgeschöpft werden können.

Damit deuten sich Impulse für eine eigenständige organisationspädagogische Methodenforschung an, die neben dem Kanon der klassischen Differenzierungen auch die Partizipationsorientierung, die Prozessualisierung und die Ästhetisierung als übergreifende forschungsmethodische Zugänge für die organisationspädagogische Forschung, Evaluation und Gestaltungspraxis weiterentwickelt.

Erstellt vom Vorstand der Kommission Organisationspädagogik Michael Göhlich (Erlangen), Susanne M. Weber (Marburg), Andreas Schröer (Darmstadt) sowie den am Diskussionsprozess aktiv beteiligten Kommissionsmitgliedern Karin Dollhausen (Bonn), Julia Elven (Augsburg), Nicolas Engel (Erlangen), Claudia Fahrenwald (Linz), Marlies W. Fröse (Luzern), Harald Geißler (Hamburg), Sascha Koch (Bochum), Anja Mensching (Hamburg), Henning Pätzold (Koblenz), Ines Sausele-Bayer (Erlangen), Ortfried Schäffter (Berlin), Michael Schemmann (Köln), Dorothea Schemme (Bonn), Jörg Schwarz (Marburg), Wolfgang Seitter (Marburg), Inga Truschkat (Hildesheim) und Stephan Wolff (Hildesheim). Am 20. Februar 2014 von der Mitgliederversammlung der Kommission Organisationspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft abschließend diskutiert und einvernehmlich beschlossen.
Zitation: Göhlich, M., Weber, S.M., Schröer, A. u.a. (2014): Forschungsmemorandum Organisationspädagogik.


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